„Ihr Lagerlein bleibet“ – Stadt- und Gemeinderatschor singen das fröhliche Lied der Lageretablierung

Entgegen jahrelanger Proteste hat die Freiburger Stadtpolitik sich in der letzten Gemeinderatssitzung nochmal offiziell zur Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Freiburg bekannt. In der Informationsvorlage schreibt die Stadtverwaltung: “Aus Sicht der Stadt Freiburg hat sich der LEA-Standort in Freiburg bewährt.” Der Antrag der Gemeinderatsfraktionen JUPI/Eine Stadt für alle auf eine unabhängige Evaluation der LEA wurde mit lediglich neun Ja-Stimmen abgelehnt.

Für das nächste Jahr sind politischen Aktionen dazu geplant, unsere Stellungnahme zur Evaluation findet ihr unten. Außerdem gibt es Neuigkeiten zur Klage von sechs ehemaligen Bewohnern gegen die Hausordnung der LEA: Die Gerichtsverfahren dauern zwar noch an, trotzdem hat das zuständige Regierungspräsidium als Reaktion schon jetzt eine neue Hausordnung erlassen. Die darin vorgenommenen Änderungen verbessern die Situation der Geflüchteten aber nicht wirklich.

Stellungnahme zur fadenscheinigen Evaluation der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg
„Ihr Lagerlein bleibet“ – Stadt- und Gemeinderatschor singen das fröhliche Lied der Lageretablierung

Freiburg, 21. Dezember 2021

Zu Weihnachten, liebe Freiburger*innen, wird’s was geben. In Zeiten von knappen Waren muss es nichts Neues sein, warum nicht das Alte lobpreisen? Das dachte sich auch die Freiburger Stadtpolitik und hält trotz jahrelanger Proteste, mehrerer Gutachten und Anschreiben an der politischen Unterstützung der Freiburger Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) fest. Das ist ein Geschenk an all jene, für die es zu anstrengend ist, sich darüber Gedanken zu machen, wie Schutzsuchende würdig und inklusiv aufgenommen werden können. Es ist ein Geschenk alle, die ohnehin denken, dass angesichts von zunehmenden Migrationsbewegungen Lager alternativlos sind und dabei entstehende Grundrechtsverletzungen ein notwendiges Übel darstellen. Weltoffenheit wird in Freiburg großgeschrieben. Deswegen stört es auch kaum, wenn die Zimmer in der LEA weiterhin nicht abschließbar sind. So freut sich der bequeme Freiburger, schwärmt an Heiligabend von „humanitärer Aufnahmepolitik“ und strickt schwarz-grüne Wollsocken für die Liebsten. Ach, wie schön, dass niemand weiß, dass die LEA ein Lager ist, einer selektiven und ausgrenzenden Logik folgt und Freiburg sich damit von der Pflicht lossagt, weitere Geflüchtete kommunal aufzunehmen.

Das Märchen einer politischen Evaluation
Das Freizeitangebot in der LEA? Großartig! Das Kantinenessen? Wie bei Oma! Die Kleiderkammer? Außergewöhnlich! Es sind die zentralen Aspekte eines Massenlagers, die in der Evaluation der Landeserstaufnahmeeinrichtung zur Sprache kamen [1]. Wer braucht schon über das Kochverbot reden, wenn es eine neue Salatbar gibt. Wer muss tägliche Grundrechtsverletzungen thematisieren, wenn Verwaltungsrichter*innen im Lager Einführungskurse in das deutsche Grundgesetz geben. Arbeitsverbot, Residenzpflicht, Wohnverpflichtung neuerdings in Containern [2] bis zu 18 Monate – geschenkt, angesichts Gitarrenunterricht durch European Homecare, die am Lager saftig Profit machen.

Außer dem Einsatz der Fraktionen von JUPI/Eine Stadt für alle, die immerhin noch eine ordentliche Evaluation beantragt hatten, ist die Evaluation ein kommunales Armutszeugnis. Statt einen eigenen, progressiven Weg in der Asylpolitik zu gehen, duldet Freiburg nicht nur die Idee eines Massenlagers aus der rassistischen Mottenkiste der 80er-Jahre – mit der letzten Sitzung haben Stadt und Gemeinderat nochmal offiziell bestätigt: „Ja, wir stehen zu dieser Ausformung der rassistischen Politik der letzten Jahre und wollen dieses Lager genau in dieser Form” [3].

Solange das Lager fortbesteht, geht auch die Mobilisierung gegen die politische Ignoranz weiter. Wer kein Bock mehr auf städtisches Weihnachts-Tralala hat, schreibt eine Mail an uns. Neue Aktive werden dringend gesucht, damit Wohlfühl-Weihnachtslieder endlich wieder im Konzerthaus spielen – statt in einem Parlament.

[1] Die Evaluation wurde vom zuständigen Regierungspräsidium selbst durchgeführt. Zu keiner Zeit wurden Bewohner*innen in die Evaluation einbezogen. Die Evaluation beschränkt sich nur auf formale Aspekte des Vertrags zwischen Stadt und Land. Dabei ist im Vertrag wörtlich geregelt: „Im Anschluss [an die Evaluation] wird im Benehmen mit der Stadt über den weiteren Betrieb der LEA entschieden.“ Die Evaluation im Wortlaut: https://ris.freiburg.de/meeting.php?id=2021-GR-229
[2] Die LEA ist ausgelegt für 800, im „Notfall“ 1800 Personen. Da die dafür notwendigen Bauarbeiten nicht rechtzeitig fertiggestellt wurden, werden auf dem Gelände nun Container mit zusätzlichen 300 Plätzen installiert. https://rp.baden-wuerttemberg.de/rpf/service/presse/pressemitteilungen/artikel/regierungspraesidium-baut-kapazitaet-der-landeserstaufnahmeeinrichtung-fuer-fluechtlinge-in-freiburg-aus/

[3] Die Stadt schreibt wörtlich: „Aus Sicht der Stadt Freiburg hat sich der LEA-Standort in Freiburg bewährt […]. Zudem treffen die Bewohnenden vor Ort auf ein liberales Stadtklima und eine Geflüchteten gegenüber sehr aufgeschlossene Bevölkerung.“ Damit wird ein liberales Stadtklima dafür instrumentalisiert, ein funktionales Massenlager zu legitimieren. https://ris.freiburg.de/meeting.php?id=2021-GR-229

Update zum Gerichtsverfahren von sechs Geflüchteten gegen die Hausordnung in der LEA Freiburg

Sechs Geflüchtete haben im Dezember 2020 Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim gegen die Hausordnung der LEA Freiburg eingereicht. Nachdem das Gericht im Juli den zugehörigen Eilantrag abgelehnt hat, wurde das Verfahren gesplittet und bestimmte Regelungen werden mittlerweile vor dem Verwaltungsgericht Freiburg verhandelt. Am 15. Dezember 2021 hat das zuständige Regierungspräsidium eine neue Hausordnung erlassen und argumentiert, die Klage vor dem VGH sei als unzulässig abzuweisen, da die beklagte Norm mittlerweile außer Kraft gesetzt wurde. In der Tat hat das Regierungspräsidium Freiburg einige der kritisierten Regelungen überarbeitet, was jedoch kaum Auswirkungen auf die weiterhin massiven Grundrechtsverletzungen haben wird.

Die neue Hausordnung stellt klar, dass auf dem Gelände keine anlasslosen Taschenkontrollen stattfinden dürfen. Die Taschenkontrollen am Eingang dürfen die Bewohner*innen verweigern. Da sie dann aber ihre Tasche zurücklassen müssen, ändert das de facto nichts an der bisher gängigen Praxis. Die routinemäßigen Zimmerkontrollen dürfen nur noch nach ausdrücklicher Zustimmung oder zu vorher angekündigten Terminen erfolgen. Es bleibt abzuwarten, ob die Bewohner*innen darüber aufgeklärt werden, dass sie Zimmerkontrollen verweigern dürfen. Bei Verstößen gegen die Hausordnung dürfen die Securitys die Zimmer auch nachts und auch gegen den Willen der Bewohner*innen betreten, etwa um das Alkoholverbot durchzusetzen. Auch viele andere Regeln sind unverändert geblieben, unter anderem das Besuchsverbot, das Verbot politischer Betätigung oder die umfassende Liste verbotener Gegenstände.

„Die Klage bedeutet uns sehr viel. Die neue Hausordnung ist eine erste Reaktion auf unsere Bemühungen. Das reicht aber nicht. Auch die neue Hausordnung nimmt uns unsere Rechte. Die Bewohner*innen der LEA dürfen immer noch nicht kochen, die Zimmer sind immer noch nicht abschließbar. Außerdem gibt es weiterhin einen großen Unterschied zwischen der Realität und dem, was in der Hausordnung steht“, sagt Emmanuel, einer der Kläger.

Wir streiten weiter vor Gericht für ein Ende der massiven Grundrechtsverletzungen und eine andere Asylpolitik. Die mündliche Verhandlung vor dem VGH Mannheim ist für den 2. Februar 2022 angesetzt.

Ihr Lagerlein bleibet – PM zur fadenscheinigen Evaluation der LEA Freiburg