Nicht unsere Lager, nicht unsere Solidarität

Gemeinsame Stellungnahme von  LEA Watch Freiburg und Aktion Bleiberecht zur aktuellen Situation in der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg

Ausführliche Stellungnahme: 2020-04-01_Nicht unsere Lager, nicht unsere Solidarität

„Solidarität besteht heute darin, kollektive Lösungen für die am schwersten Betroffenen und am meisten Gefährdeten weltweit zu finden. Wer bereit ist, 20 000 eingepferchte Menschen in den Lagern in Griechenland der Lungenkrankheit Covid-19 auszusetzen, braucht keine Panik wegen »Corona-Partys« Pubertierender zu verbreiten. Wer mit dem Finger auf spielende Kinder auf der Straße zeigt, aber Verständnis für Hundertschaften der Polizei hat, die Geflüchtete mit Gewalt hinter die Zäune von deutschen Erstaufnahmelagern prügeln, bekämpft nicht das Virus, sondern verunmöglicht, in der Krise die Notwendigkeit eines radikalen Umdenkens zu erkennen. Die Situation verlangt nach einer Grenzen überschreitenden antiautoritären Praxis“
(Neuhaus und Perinelli, jungle.world 26.03.2020).

Wo die Losung der »Solidarität« in Zeiten der Corona-Krise als unhintergehbarer Wert an sich ausgegeben wird, entpuppt sie sich zumeist als leere Worthülse. Wer zur Solidarität aufruft, steht schon per se auf der richtigen Seite und im Umkehrschluss will freilich niemand von sich behaupten, »unsolidarisch« zu sein. Die heute überall beschworene und eingeforderte »Solidarität« sollte jedoch misstrauisch machen.

Was momentan als »neue Solidarität« zelebriert wird, meint ein Verhalten, das eigentlich so selbstverständlich sein sollte, dass es keiner Erwähnung bedürfte. Dass die Einzelnen nicht nur sich selbst, sondern auch wieder ihre Nachbar*innen als Nächste erkennen, ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber da der Großteil genau hier verharrt, offenbart diese Art der »Solidarität« ihr so banales wie borniertes Wesen.
Es fällt nämlich auf, wer bei der Anrufung der Solidarität nicht gemeint ist: Obdachlose, Geflüchtete, Illegalisierte, um nur einige Gruppen zu nennen. Von den Menschen an den europäischen Außengrenzen ganz zu schweigen.
Es erscheint absurd, dass Menschen bei der Polizei angezeigt werden, weil sie im Supermarkt nicht den vorgeschriebenen Mindestabstand zu anderen Kunden einhalten, zugleich aber keine empörten Beschwerden darüber eingehen, dass in den meisten Landeserstaufnahmeeinrichtungen die Menschen immer noch zu mehreren in einem Zimmer leben. Während Pocher, Jauch & Co. in der „Quarantäne-WG“ (RTL) der Corona-Krise ihre „positiven Seiten abgewinnen wollen“, kontrolliert in Suhl vielleicht bald die Bundeswehr die »Quarantäne-WG« der dortigen Landeserstaufnahme. Und im gleichen Zuge, in dem man überall die psychosoziale Wohltat des Internets für die von der Isolation gepeinigten Seelen hervorhebt, wird in der Freiburger Landeserstaufnahme, wo es mittlerweile drei bestätigte Corona-Fälle gibt, aus Sorge vor Menschenansammlungen im Gemeinschaftsraum kurzerhand das WLAN abgeschaltet.

Wer das Wort Solidarität noch in seiner kritischen Bedeutung ernst nehmen will, der bleibt nicht #thefuckhome, sondern gibt den Menschen #thefuckahome. Dass ein Lager oder eine Massenunterkunft nicht als Zuhause gelten kann, versteht sich von selbst. Wir fordern deshalb die sofortige Räumung der Landeserstaufnahme Freiburg und die dezentrale Unterbringung der derzeit dort lebenden und zukünftig ankommenden Menschen!